Fr 23.4. / 20 Uhr / Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig (Dittrichring 21, Großer Probesaal, Raum -1.33)
Eintritt frei

MAYA DEREN: CHORECINEMA

USA 1943–1959
Gesamtlaufzeit: ca. 70 min (fünf Kurzfilme)

Studierende und Lehrkräfte des Fachgebietes Improvisation begleiten ein Programm mit Filmen der Avantgarde-Künstlerin Maya Deren. Präsentiert wird die Premiere dieser Produktion von der Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig. Das Projekt leitete Tilo Augsten.

Mit nur sechs Arbeiten hat die 1917 in Kiew geborene Künstlerin Maya Deren das US-Avantgarde-Kino mitinitiiert. Ihr erster Film, MESHES OF THE AFTERNOON (1943), gilt als einer der einflussreichsten "Underground"-Filme überhaupt. In den 40ern gehörten u.a. Andre Breton, Marcel Duchamp, John Cage und Anais Nin zum Künstlerkreis, in dem Deren verkehrte. Es entstanden At Land (1944) und A Study in Choreography for Camera (1945). 1946 erhielt sie ein Guggenheim-Stipendium, für ihren Erstling Meshes of the Afternoon folgte 1947 in Cannes der Grand Prix International für 16mm-Experimentalfilm. In den späten 1940er und frühen 1950er Jahren galt Derens intensive Beschäftigung dem haitianischen Voodoo. Ihr Buch Divine Horsemen: The Living Gods of Haiti (1953) ist eines der wichtigsten zum Thema.
Maya Derens sechs vollendete Filme durchziehen die von Peter Weiss dem Avantgarde-Film zugeschriebenen neuen Formen von Bewegungen und Rhythmen. Schon früh, vor ihrer Beschäftigung mit dem Medium Film, galt Derens Begeisterung dem Tanz. Anfang der 40er Jahre arbeitete sie für die Choreographin Katherine Dunham und ihre Kompanie und veröffentlichte erste Artikel zum Thema. Nicht Wunder nimmt es, daß ihr besonderes Augemerk beim Film, den sie als unabhängige Kunstform begriff, mit Hilfe derer, der Realität entgegen gearbeitet werden könne, der Inszenierung von Bewegungsabläufen galt und schlussendlich dem Eingriff in das Raum-Zeit-Gefüge. Eine nur im Film mögliche Realität zu kreieren, war ihr Ziel – Zeitlupe, Rückwärtslauf oder fotografisches Negativ waren ihre Mittel.
Es verwundert nicht, daß Kritiker – mit Blick auf die Bewegungsabläufe in ihren Filmen – bald von einer „magical integration of avant garde camera techniques and modern choreography“ (1) sprachen und von einer neuen Kunst des „Chorecinema“. Deren galt außerdem als Erfinderin eines „new choreographie conecpt“, was Antony Tudor, einen bekannten Choreographen, dazu veranlasste, die Bewegungen der Absolventen der Metropolitain Opera Ballett School für ihren letzten Film THE VERY EYE OF NIGHT zu konzipieren. Die Begeisterung für Film und Tanz sowie die Notwendigkeit, Bewegung ihren eigenen filmischen Ansprüchen entsprechend umzusetzen, sollte Derens Leben bis zu ihrem frühen Tod im Alter von 44 Jahren durchziehen.

Im Programm:

MESHES OF THE AFTERNOON
(USA 1943, 12 min)

"Dieser erste Film beschäftigt sich mit der Beziehung von phantastischer und objektiver Realität. Der Film beginnt in dem Tatsächlichen und, letztendlich, schließt er auch dort. Doch in der Zwischenzeit mischt sich die Imagination ein, in diesem Falls als Traum. Es beginnt mit einem beiläufigen Zufall und entwickelt sich in einen kritischen Zustand, das Ergebnis seiner Verschlingungen wieder in die Realität drängend. Die Protagonistin […] befindet sich im Tatsächlichen, zerstört durch eine phantasierte Handlung." (Maya Deren)
„Der surreale Effekt […] entsteht weniger durch Inszeniertes, […] als vielmehr durch die Montage raum-zeitlicher Elemente zu einer neuen, irrealen Zeitfolge. Symbolisches und Psychoanalytisches wird gleichermaßen verwendet. In traumähnlichen Situationen begegnen einander mehrere Ichs […] oder verwandeln sich in andere Personen.“ (2)

AT LAND
(USA 1944, 15 min)

"AT LAND [ist] keineswegs das Produkt einer egozentrisch-unverbindlichen, abstrusen Phantasie ... Andere, von Männern gemachte Experimentalfilme mögen ebenso innovativ sein, wie AT LAND, aber ihr Erfahrungsgehalt wird von dem anderer Kunstwerke nicht so radikal abweichen, weil männliche Erfahrung schon ... jahrhundertelang und in zahlreichen Kulturen dargestellt worden ist ... Die Schwierigkeit männlicher Avantgardefilme liegt daher hauptsächlich in der Form. Bei Filmen von Frauen kommt aber zur formalen Verständnisschranke noch die inhaltliche dazu." (Christine Noll Brinkmann)

RITUAL IN TRANSFIGURED TIME
(USA 1946, 15 min)

„Ein Ritual ist eine Handlung, die sich von allen anderen unterscheidet, indem das Ritual versucht, seinen Zweck durch das Ausführen einer Form zu erreichen. Auf diese Weise ist Rituelles Kunst; und (auch in einem historischen Zusammenhang) entspringt Kunst dem Rituellen. Im Ritual wird die Form zur Bedeutung. Genauer gesagt, die Art der Bewegung trägt nicht einen bloß dekorativen Charakter; vielmehr ist diese Art der Bewegung selbst bereits die Bewegungsbedeutung. In diesem Verständnis ist Film ein Tanz.“ (Maya Deren)

MEDITATION ON VIOLENCE
(USA 1948, 12 min)

Meditation On Violence, chinesischer Schwerttanz und Film, zwei Bewegungskünste von Maya Deren so meisterhaft abgebildet und eingesetzt, daß sie sich in Wesen und Erscheinung gegenseitig analysieren. (Heinz Emigholz)

THE VERY EYE OF NIGHT
(USA 1959, 13 min)
Maya Deren kopiert einen nächtlichen Sternenhimmel zusammen mit Aufnahmen von Tänzern. Die Gestalten erscheinen im Negativ, also weiß, vor dem schwarzen Himmel, so daß sie zu schweben scheinen. Deren unterstreicht diesen Effekt, indem sie durch Schwenks die Tanzenden in und aus dem Bild schweben lässt, oder das Bild um seine eigene Achse dreht.(3)

1 Quelle: Romi Agel: Kamerachoreographie bei Maya Deren (www.stiglegger.de)
2 Hans Scheugl/Ernst Schmidt jr.: Eine Subgeschichte des Films. Lexikon des Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilms, Frankfurt, Suhrkamp, 1974
3 Quelle (Zitate): www.arsenal-berlin.de/arsenal-experimental