So 18.4. / 20 Uhr / naTo
Eintritt: 10,- / 8,- €

KONZERT FÜR LICHT UND PIANO
Steffen Schleiermacher spielt Musik von John Cage zu Filmen von László Moholy-Nagy

Der Bauhäusler László Moholy-Nagy ist als Fotograf, Grafiker, Pädagoge und Theoretiker bekannt. Seine Filme jedoch sind selten gezeigt. Dabei muß sein gestalterisches und theoretisches Werk als Gesamtheit betrachtet werden; die einzelnen Schaffensbereiche sind untrennbar miteinander verbunden.
Die Filme erscheinen einem heutigen Publikum oft roh und unfertig. Ausgehend von seinen fotografischen Arbeiten, der Konzeption des Neuen Sehens und des Konstruktivismus sind sie vor allem eher Experimente als „fertige“ Kunstwerke. Die Gestaltungsmittel Licht, Bewegung und auch Ton rangieren vor dem abgebildeten Sujet. Ebenso umfassend wie das Moholy-Nagys, ist das Werk von John Cage. Cage übernahm 1948 am Black Mountain College (an dem Josef Albers stark prägend war) einen Lehrauftrag. Albers emigrierte als erster Bauhaus-Meister 1933 in die USA und bildete an dem neu gegründeten College in den 1940er und 50er Jahren wegweisende Künstler wie Robert Rauschenberg, John Cage, Jasper Johns und Merce Cunningham aus. Moholy-Nagy wurde nach Aufenthalten in Amsterdam und London auf Empfehlung von Walter Gropius 1937 Gründungsdirektor des „New Bauhaus“ in Chicago, aus dem 1939 die “School of Design” und 1944 das „Institute of Design“ hervorgingen.
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß Moholy-Nagy den Schönberg-Schüler John Cage 1941 zu einem Kurs in experimenteller Musik in die "School of Design" in Chicago einlud.

IMPRESSIONEN VOM ALTEN MARSEILLER HAFEN (VIEUX PORT)
D 1929
Uraufführung: Berlin 1932
Schwarzweiß
stumm
Laufzeit: 9 min

GROSS-STADT ZIGEUNER
D 1932
Schwarzweiß
stumm
Laufzeit: 12:15 min

BERLINER STILLEBEN
D 1932
Schwarzweiß
stumm
Laufzeit: 9 min

EIN LICHTSPIEL SCHWARZ WEISS GRAU
D 1930
Uraufführung: Berlin 1932
Schwarzweiß
stumm
Laufzeit: 6 min

LOBSTERS
GB 1935
Schwarzweiß
OF
Laufzeit: 16 min

THE NEW ARCHITECTURE AND THE LONDON ZOO
GB/USA 1936
Uraufführung: New York 1938
Schwarzweiß
stumm
Laufzeit: 16 min

DO NOT DISTURB
USA 1945
Regie: László Moholy-Nagy und Studenten des Institute of Design, Chicago
Farbe
OF
Laufzeit: 20 min

Mit Moholy-Nagy wird wohl kein anderer Film so stark verbunden wie EIN LICHTSPIEL SCHWARZ WEISS GRAU. Das kinetische Spiel abstrakter Lichtreflexe wird hervorgerufen durch einen „Licht-Raum-Modulator“. Ein „Lichtrequisit“, eine, ursprünglich, kinetisch-mechanische Skulptur, deren bewegliche Teile das Licht farbiger Glühbirnen reflektierten und somit fast kinematografische Schattenspiele erzeugten. Als eine von vielen Ideen — des an dem Gedanken des „Polykino“ arbeitenden Moholy-Nagy — hätte diese Skulptur als Kino ohne Film das Zentrum eines „Raumes der Gegenwart“ (Moholy-Nagy) werden sollen. Dieses Projekt wurde in der diesjährigen Retrospektive in der Frankfurter Schirn Kunsthalle erstmalig umgesetzt.
Abgesehen von dieser abstrakten Arbeit und den mit ihr verbundenen kinetischen Projekten Moholy-Nagys am Theater und für Filmrequisiten, sind seine Filme durch einen starken Realitätsbezug gekennzeichnet.
„Den Kontrast zwischen Technisierung und zunehmender sozialer Benachteiligung, der besonders in den urbanen Zentren dramatisch zu Tage tritt, hat Moholy in keinem seiner Stadtfilme schärfer herausgearbeitet als in IMPRESSIONEN VOM ALTEN MARSEILLER HAFEN.“ schreibt Jahn Sahli (1). Und in der Tat, was wie ein touristischer Streifzug beginnt, führt dem Betrachter sehr schnell „Impressionen“ der bedrohlichen Armut und erschreckenden Lebensumstände des Marseiller Proletariats vor. Mit großer Bravour gelingt es Moholy-Nagy, über den Schnitt, den Kamerastandpunkt, die Bildperspektive, die lebensfrohen Boulevards mit den slumartigen Hafenvierteln zu verweben.
Die ersten Sequenzen des BERLINER STILLEBEN zeigen uns das bürgerlich-repräsentative Charlottenburg. In diese Behäbigkeit werden die Hinterhöfe der „Zilleburg“ geschnitten. Das Licht ist hier einer der wichtigsten (filmischen) Indikatoren der unterschiedlichen sozialen Verhältnisse. Trotz der ruinösen Architektur, der Ärmlichkeit des Alltags ist dieses Stillleben tatsächlich ein solches, da für Moholy-Nagy ein formales Bildinteresse viel stärker im Vordergrund steht.
Es ist keine heile Welt, die uns GROSS-STADT ZIGEUNER zeigen will. Aber die offensichtliche Armut und Ausgegrenztheit der Roma führt im Film auch nicht zu einer Klage. Vielmehr kann er als Beobachtung eines heute völlig aus dem Alltag verschwundenen Bestandteiles europäischer Kultur betrachtet werden, dem auch der Humor nicht abgeht (ohne in romantisierte Klischees zu verfallen).
Der eindeutig dokumentarische Ansatz wird durch den Schnitt und die Kameraführung Moholy-Nagys narrativ strukturiert.
LOBSTERS und THE NEW ARCHITECTURE wiederum sind reine Auftragsarbeiten. Im Gegensatz zu seinen anderen Filmen, in denen er die ästhetische Grenzerweiterung sucht, ist seine Freiheit hier sehr weit eingeschränkt. Entstanden sind zwei didaktisch-informativ aufgebaute Dokumentarfilme.
In LOBSTERS wird sehr genau die Arbeit der englischen Hummerfischer auf hoher See geschildert. Als dramatischen Spannungsbogen nutzt Moholy-Nagy die möglichen Verhältnisse der Figuren zueinander und einen aufkommenden Sturm.
Im Auftrag des Museum of Modern Art in New York dreht er kurz danach mit THE NEW ARCHITECTURE einen weiteren Dokumentarfilm, in dem die Neubauten des Londoner Zoo in ihrer Funktion vorgeführt werden. Die avantgardistische englische Architekturgruppe „Tecton“ entwarf sie 1933/34. Von diesem Projekt ging ein wichtiger Impuls für das Neue Bauen in Großbritannien aus und ebenso wurde die Zooarchitektur als solche sehr fortschrittlich neuformuliert. Die (wörtlich) bewegliche Konstruktion der Gebäude findet sich in Animationen, geometrischen Kompositionen und abstrakten Lichteffekten wieder, die in ihrer Ästhetik diesen Film eng mit dem Neuen Sehen verknüpfen.
DO NOT DISTURB schließlich ist mehr ein Zeugnis von Moholy-Nagys pädagogischer Arbeit. Gemeinsam mit Studenten des Chicagoer Institute of Design entstanden mehrere Streifen, die vor allem die studentische Praxis an der Hochschule zeigen. DO NOT DISTURB dagegen ist ein fast narrativer Film, der sich formal von den übrigen Titeln des Programms unterscheidet. Die Geschichte ist einfach: zwei Jungs, zwei Mädchen. sie sind verliebt, sie träumen...

Die Filme von Moholy-Nagy existieren in verschiedenen Fassungen und Bearbeitungen. Wir freuen uns, die restaurierten und von Hatulla Moholy-Nagy autorisierten Fassungen zur Aufführung bringen zu können.

Sven Wörner


1 Jan Sahli, Filmische Sinneserweiterung, Schüren 2006, S. 159