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Erst das Sehen macht den Film!
      Der Begriff stumm im Titel kennzeichnet ein Programm mit doppeltem Boden,  jedoch ohne Netz. Und er drückt das diesbezügliche Dilemma des  Organisationsteams aus, denn waren Filme jemals stumm? Verdanken sie ihre bloße Existenz nicht vielmehr  Wechselwirkungen, die durchaus beredt zu nennen sind? Schon die frühen kinematografischen Zeugnisse – so behaupten  wir, waren nicht stumm.
      
      Wer – unter den Hörenden zumindest - glaubte beim  Anblick des einfahrenden Zuges der Lumières nicht das Stampfen der Kolben, das  Zischen des Dampfes und das Quietschen der Bremsen zu vernehmen, die  schließlich das stählerne Ross zum Halten brachten?(1)
      Ein kurzer technischer Diskurs sei  gestattet: Einerseits können wir das Filmbild nur sehen, wenn es als Licht via  Filmstreifen und Maschine unsere Augen reizt und die Einzelbilder des Filmes  dort durch die Trägheit der Netzhaut zu Bewegungen zusammenfließen. Film sehen  bedeutet also zunächst (wenngleich nicht nur auf der technischen Ebene) sehen, was  materiell so nicht vorhanden ist. Die zweite grundlegende Wechselwirkung ist  andererseits die des im Filmbild festgehaltenen Inhaltes, mit unserer im Kopf  geschehenden Übersetzung zu einer Geschichte. Zwei Menschen denselben Film besuchend,  werden im Nachhinein von verschiedenen Eindrücken berichten, verschiedene  Geschichten erzählen. Kann man das Einzelbild gleichsam als gefrorene Zeit betrachten, wird  eine Geschichte erst, wenn wir diese durch unsere Wahrnehmung zu jenem Sturzbach auftauen, der unsere Emotionen  mitreißt! Mit diesen Frühlingsgefühlen möchten wir uns in der ersten Ausgabe von SOLO FÜR LICHT befassen.
      
      Als die Bilder  laufen lernten bewegten die Schauspieler unhörbar die Lippen und  Zwischentitel erklärten uns, was gesprochen wurde (oder nicht zur Sprache kam);  dramatische Wendungen erhielten einen verstärkten, akustischen Ausdruck durch  die musikalische Begleitung direkt im Kinosaal. Dass es falsch wäre hieraus ein  Qualitätsmerkmal abzuleiten, belegen uns die Herren DR. JEKYLL UND MR. HYDE  aufs Vorzüglichste,  wenngleich die Filmbilder hier noch stark illustrierenden Charakter aufweisen. Die Storys der frühen  Alltagsfilme waren simpel und bemühten sich, selbst im Bestreben tagesaktuelle  Berichte – von Königsbesuchen, Schiffstaufen und im Sonnenschein spazierenden  Parisern auf dem Bois de Boulogne – zu liefern, immer um eine humoristische  Note. In die Nickelodeons auf den Jahrmärkten strömte das frühe Publikum, um  nach Einwurf einer Münze (des Nickels) einen kurzen Sketch zu sehen, der  zumeist auf turbulent verlaufendem Slapstick basierte. Diese Erwartung passiv  unterhalten zu werden, treibt bis heute die meisten Zuschauer ins Dunkel des  Kinosaales und verhindert die Entdeckung des mannigfaltigen Universums Film. Thema und Muster, nach welchen dieses Lichtspiel zumeist abläuft, sind dabei schnell  zusammengefasst: Gut versus Böse (natürlich ist der Sieg des Helden  vorausbestimmt und knapp zugleich; natürlich reitet er mit der – ihm wie nebenbei  und doch verdient in die Arme fallenden – Schönheit in den Sonnenuntergang),  Plotpoints mit ihrer dramatischen Funktion, alle Spielarten in ihren im Kino  aufscheinenden Variationen „ (zunächst) unerfüllte Liebe“ „Überleben“ (im  Dschungel), „Rache“, „Verdächtigung zu Unrecht“ etc. lassen sich subsumieren.  Solange wir diese Art oder auf diese Art Filme sehen, befinden wir Zuschauer  uns auf sicherem aber doppeltem Boden, denn entweder sind diese Bilder im Kino  wenig mehr denn blanke „Begleiterscheinung“  einer  durch die Protagonisten vollmundig vorgetragenen Handlung – Film wirkt wie ein bebildertes  Hörspiel – oder wir vergeben uns die Spannung und Aufregung, unter den Dielen  einen Schatz zu finden.
      Sollten wir das Wesen des Films verkennen,  verlernt haben, es zu schauen? Schon in den Kinderschuhen hatte er  begonnen, seine Rüpeleien und Vielschichtigkeiten zu entwickeln und auszuleben.  Vielen dürfte jene frühe  Szene  bekannt sein, in der am Ende des Films der Revolver, auf der Leinwand und  gleichsam aus dem Film heraus, in die entsetzte Zuschauermenge gerichtet und ausgelöst  wurde.(2)
      
      Versuchen wir Differenzen auszumachen: DER  GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM verursachte bei seiner Premiere sicher keine  Massenpanik unter den Zuschauern, wie   der erwähnte Film Porters. Aber es soll um die Ebenen gehen. An der auch heute noch durchaus  faszinierenden Filmoberfläche erleben wir   hier zunächst  nicht mehr als den dramatischen Versuch des Rabbi Löw, die Prager Juden vor  der Ausweisung zu retten. Widmen wir jedoch den gesehenen Bildern etwas mehr  Aufmerksamkeit, stellen wir fest, daß sie neben dieser, noch auf einer weiteren  Ebene zu erzählen in der Lage sind. Da ist zunächst der Unterschied in der  Darstellung der Lebensumstände im Königshof und im Ghetto. Ist Ersterer durch  klare Linien in der Set-Architektur gekennzeichnet, schuf Hans Pölzig für das Ghetto  eine dunkle, verwinkelte, mystische, fast aus der Tiefe herauswachsende  Szenerie. Ähnliche erzählerische Metaebenen finden sich in den NIBELUNGEN, auch  hier steht – zum Beispiel – die Welt der Hunnen im scharfen Kontrast zur Welt der  Burgunder und Kriemhild im ersten Teil der Verfilmung ganz in Weiß gewandet, tritt  im zweiten Teil als schwarzer Rachengel auf.
 Und dennoch ist Fritz Langs Film  weit entfernt von einer simplen  Schwarz-Weiß-Malerei.  Im CABINET DES DR. CALIGARI schließlich  scheinen die Dinge, das Seelenleben der Protagonisten visualisierend, gar ihre  Leblosigkeit aufgegeben zu haben.
      Welch einen Genuss kann der Film  vermitteln, wenn wir die verschiedenen Betrachtungen zusammenführen und  überdies jene hinzutritt, welche die Interpretationen der begleitenden Musiker  gewähren! Mit Fritz Langs  SPIONEN und Murnaus NOSFERATU –  EINE  SYMPHONIE DES GRAUENS fokussieren wir ein Weiteres. Zwar finden sich hier  ebenso die oben erwähnten „stummen“ Erzähltechniken, doch treffen wir in beiden  Filmen in besonderem Maße auf eine weitere Sprache: die der Kamera. Welch  waghalsige Positionen nimmt sie ein, um Figuren einen Charakter oder dem  Verlauf der Geschichte einen Unterton zu verleihen! Durchaus von  photografischer Qualität ist sie in ihrem Ausdruck und kreiert – neben dem Set  und der Geschichte, einen Vielklang, der in seiner Sprachvielfalt ganz andere  Stimmungen oder Erzählnuancen auszudrücken in der Lage ist, denn es Zwischentitelei  oder Schauspielkunst könnten. Der Film erweitert sein Vokabular!
      Schon in dieser,  seiner pubertären Phase versuchte er, sein Selbst auszuloten. Während FAUST  expressiv-technisch experimentiert, versucht, das Grabenorchester in den  Bildraum zu übertragen, wirkt der nonverbale Humor der Meisterin der Untertöne,  der Französin GERMAIN DULAC, hingegen fast distinguiert. Dulac gilt aber nicht  nur als bekannteste (wenn nicht einzige) Vertreterin des französischen  Filmimpressionismus der 1920er Jahre. 1928 ist sie es, die gleichsam den Ruf  Béla Balász erhört, der 1924 über Musik im Kino referiert und eine Umkehrung,  nämlich die Verfilmung von  Musikstücken  anregt.(3) DISQUE  957 titelt Dulacs Visualisierung zweier Chopin-Preludes – die Autonomie der  Musik ist hier Basis eines seltenen filmischen Experiments.
      
      Im Bemühen des Films eine eigene Sprache zu  finden, hat er  immer wieder mit dem Wechselspiel von Bild, bildnerischer  Metaebene und gesprochenem Wort, vielmehr dem nicht ausgesprochenen Wort  experimentiert. Bei ODNA lesen wir dies und zugleich ist hier die Schwelle zum  Tonfilm schon erreicht. Kamera und Schnitt dienen aber auch hier nicht nur der  Strukturierung von Zeit und Ort, sondern eben auch (und dies ist quasi auch als  Evolution der Zwischentitel zu begreifen) der Interpretation bzw. der Kommentierung  des Gesehenen. Es war diese Entwicklung, die das Überleben des Films sichern sollte. Dass über die  Jahre und das Aufkommen des Tonfilms die Lust an diesen, den anderen filmischen  Mitteln nicht verloren ging, ist äußerst vergnüglich im anarchischen Anrempeln  der Sprach- und Erzählkonventionen in THEMROC zu bewundern. 
      
      Wir Zuschauer sind also beim Betrachten  eines Filmes permanent dabei, verschiedene Fragmente und Wahrnehmungsebenen zu  einer Geschichte zusammenzufügen. Manche Regisseure setzen diese Struktur  bewusst ein. Wir können dies, so wir uns einlassen, in FEW OF US  beziehungsweise LADONI genießen. Ähnlich, jedoch  sehr viel akzentuierter, erleben wir TOGETHER. Hier wird eine durchaus physisch  wahrnehmbare Präsenz verschiedener Emotionen und Zustände der beiden taubstummen  Protagonisten über filmische Mittel auf eine Weise ausgedrückt, der sich der  Zuschauer schwer entziehen kann. Dieser Ansatz, die Sinnlichkeit des  Betrachters als Element in den Film einzubeziehen, kann sogar die allgemein  gültigen Grenzen des Films sprengen und dazu führen, das der Zuschauer auf  seine eigenen Wahrnehmungsräume, seine Gefühle und Gedanken zurückgeworfen  wird. SATANSTANGO,  MILKY WAY und WIEN:  SIEBEN SZENEN verzichten teilweise völlig auf einen erzählerischen Gestus. Der Film  ist hier auf seine Grundlagen reduziert und gleichsam konzentriert, auf Bild  und Zeit. Das Kino kommt hier in besonderer Weise wieder in der Realität und  der Film zugleich bei seinen frühesten Fürsprechern an. Schon 1913 forderte Franz Blei:  „Man filme das Nächste, das uns so fremd ist, was vielleicht gar nicht  interessant, aber voller Bedeutung ist für unser Leben.“(4)
      Abseits der üblichen Identifikation mit  einem Helden und des Erlebens seiner Abenteuer, werden wir bei oben genannten  Filmen zu Hauptpersonen. Schließen wir die Augen existiert der Film nicht mehr,  er hat jedoch das Vermögen, im Kopf  weiterzugehen. 
      
      Waren Filme jemals stumm? In den Anfängen des Kintopps tönten  Kinoorgeln mit Autohupen und Hundekläffen durch die Filmtheater und heute ist  ein Film ohne Soundtrack oder Emotionen erzwingende Musik kaum vorstellbar.  Aber all diese Filme sind und bleiben stumm, wenn wir uns auf ihre Bilder nicht  einlassen! Oder umgekehrt, wären wir fähig, Bilder zu sehen und zu lesen,  würden wir Dialoge und Musik missen? Gibt es einen „luftleeren Raum zwischen  den Gestalten, den sonst der Dialog überbrückt“?(5)
SOLO FÜR LICHT will Anlass sein und Gelegenheit geben, das Medium Film neu und wieder zu entdecken.
(1) L`ARRIVEE D’ UN TRAIN A LA CIOTAT (1896)
      (2)  THE GREAT TRAIN ROBBERY (1903) 
      (3)  Béla Balász: Der sichtbare Mensch  oder die Kultur des Films. Frankfurt/M., 2001, S.98.
      (4)  Franz Blei in: Das Kinobuch. Kurt  Pinthus (Hg.), Frankfurt/M., 1983.
      (5)  Béla Balász, ebd.